Ein Blick zurück auf Olympia 2021.
Zu Beginn gleich mal zwei steile Thesen. Steiler als die Ultradächer im Weser-Bergland:
1. Wettkampf-Klettern wird nie, nie, nie die Massentauglichkeit bekommen, die sich Funktionäre und manche Athleten wünschen.
2. Alle, die dachten, dass mit Olympia endgültig das bergsporttechnische Abendland untergehen würde, können beruhigt die Hände in den Schoß legen und weiteratmen.
Ich selber habe mir Kletter-Wettkämpfe immer gerne angeschaut. Sei es live oder im Fernsehen, wo es Anfang der 90er tatsächlich mitunter stundenlange Live-Übertragungen im Öffentlich-Rechtlichen gab. Man glaubt es kaum, aber damals war das ganze mit deutlich mehr Hype versehen als heute, wenngleich das Klettern selber noch tausend mal mehr Nische war, als es heute ist. Man bedenke, dass man beim Nürnberger Weltcup anno 1991 ein Auto im Superfinale gewinnen konnte! Und selbst beim Deutschland-Cup kletterten die Aspiranten vor drei Jahrzehnten über ein fettes Mitsubishi-Logo in der Wand. Irgendwie schien das mit der Hoffnung von Medien und Sponsoren verknüpft zu sein mit den Kletter-Wettkämpfen ein next big thing für Zuschauer zu liefern. Und das, obwohl es in Deutschland ja niemals wirklich einen Steffi oder eine Boris im Klettern gab. Wenn man sich die heutigen nationalen Wettkämpfe anschaut, kann man gar nicht glauben, dass das mal so eine fette Nummer war.
Von Beginn der Wettkämpfe an, sagen wir 1985, begleiteten heftige Diskussionen diese Disziplin. Der Untergang des wahren Kletterns war das mindeste, was Teile der Szene befürchteten, schließlich galt Wolfgang Güllichs Motto »Klettern heißt frei sein« nicht nur für ihn, sondern war Credo für viele. Und spätestens wenn einem ein Funktionär sagt, wann man an der Wand Hand anzulegen hat, ist doch Schluß mit der Freiheit, oder?
Rückblickend lässt sich feststellen, dass kaum eine der Befürchtungen eingetreten ist. Einer der Superstars von damals, Jerry Moffatt, bedauert lediglich seine Energie und Zeit für Wettkämpfe verschwendet zu haben anstatt sie in Erstbegehungen zu investieren.
Auf mich wirkten die Diskussionen im Vorfeld von Olympia wie ein Flashback in die 80er.
Einerseits die Hoffnung auf mehr Ansehen des Kletterns in der Öffentlichkeit, andererseits die Befürchtung dass das Klettern damit endgültig an den Teufel verkauft zu haben. Denn schließlich ist Olympia die maximale Ausdrucksform des Kapitalismus in der Welt des Sports.
Schon immer wurde von Kritikern befürchtet, dass Sportler, die von ihrem Klettern leben wollen, an Wettkämpfen zwingend teilnehmen müßten, weil sich die komplette Aufmerksamkeit von Medien und Sponsoren auf den öffentlichen Vergleich an der Kunstwand fokussieren würde.
Ich hingegen glaube, dass diese »Aufmerksamkeit von Medien und Sponsoren« letztendlich niemals wirklich weltbewegend sein wird, denn - seien wir ehrlich - Klettern ist mit den Worten meines Sohnes »stinklangweilig«. Wer wie mein Sohn im Bikesport zuhause ist und nonstop Backflips und Bar Spins in luftiger Höhe bewundert, kann doch nur gähnen, wenn ein Athlet beim Bouldern an einem Run-and-jump-Problem zwanzig Mal gegen die Wand anrennt und abschmiert wie ein geölter Pfannkuchen, bevor er oder sie überhaupt nur zwei Sekunden an der Wand verharrte.
Die Versuche das Wettkampfklettern spektakulär zu machen, sind mannigfaltig und bei vielen Nichtkletterern kommt noch das Deep Water Duell am besten an, was jedoch nicht IFSC zertifiziert ist und es im Rest des 21. Jahrhunderts wohl auch nicht werden wird.
Um keinem weh zu tun, wurden viele Hirnverrenkungen vollführt, um letztendlich Bouldern, Seilklettern und Speed im »Olympic Combined« zu vereinen. Auch das ist übrigens keine totale Neuigkeit, denn bereits 1990 fand in Frankreich das "Maurienne Masters" statt, das Bouldern, Speed, Rotpunkt und On Sight miteinander verband (Gewinner: Jerry Moffatt).
Die wirkliche Gehirnverrenkung bestand jedoch darin ein Punktesystem zu entwickeln, was die Einzelergebnisse in all diesen Disziplinen miteinander verbinden sollte. Ich war noch nie ein Ass in Mathematik, aber das Multiplizieren der einzelnen Ergebnisse sollte man doch hinbekommen, dachte ich mir. Die Herausforderung ist aber, das jedes Einzelergbnis eines Kletterers das seiner Konkurrenten verändert. Klingt kompliziert und ist es auch.
In dem Moment, in dem Jakob Schubert an zweiter Stelle im Seilkletter-Finale war, befand sich Adam Ondra im Gesamtranking an der Goldposition. Zum Ärger von Adam kletterte Jakob aber ein paar Züge weiter und landete dann auf Platz eins im Seilklettern und damit war Adam sein Gold los und armseligst auf dem sechsten Platz geparkt.
Um da durchzublicken, braucht es einen Moderator, der dieses System tausendprozentig inhaliert und die totale Checkung hat. Daran krankte es bei der Olympia-Übertragung leider weltweit, denn nun kamen die arrivierten Sportmoderatoren zum Zug und nicht die brillianten IFSC-Moderatoren wie Matt Groom. Der einzige Trost ist wohl, dass sie es alle nicht drauf hatten, wie mir Freunde aus den USA oder England bestätigten. Im deutschen Programm wurde beispielsweise ordentlich und regelmäßig mit »dem Griff in den Kalkbeutel nachgekalkt«. Das ließ vermuten, dass es auch mit der Kommentierung der Ergebnisse schwierig werden würde. Wurde es auch. Das lag aber auch daran, dass die Übertragung der Bilder nicht von klettererfahrenen Profis wie bei den IFSC-Livestreams, sondern eben vom üblichen Fernsehpersonal durchgeführt wurde.
Sehr empfehlenswert ist in diesem Zusammemhang dieser herrliche Youtube-Clip mit Vize-Olympiasieger Nathaniel Coleman: Olympic Climber Reacts To CRINGE Commentary. Daraus stammt auch das Titelzitat, welches ein TV-Moderator über Adam Ondra losließ: »He's a part of the well respected fraternity.« Ähm, wie meinen???
Der zuschauende Kletterer wendet sich entweder mit Grausen oder einem Lachkrampf ab, der nicht kletternde Zuschauer dürfte einfach nur ratlos sein.
Summasumarum kann ich nicht beobachten, dass Klettern omnipräsent in den Medien ist, weil sich Wettkampfklettern urplötzlich als der letzte heiße Scheiß geoutet hätte.
Auch ein Blick auf Youtube kann nicht bestätigen, dass Competitions in irgendeiner Art und Weise das "wahre" Klettern an den Rand drängen würden:
Chris Sharma und Adam Ondra in La Dura Dura: 9.1 Millionen Views
Adam Ondra in Silence: 5 Millionen Views
Adam Ondra in World's Hardest Flash: 4,9 Millionen Views (obwohl erst seit vier Monaten online)
Margo Hayes in Biographie: 1,2 Million Views (obwohl erst seit fünf Monaten online)
Wenn ich mir dagegen mal ein paar archivierte Wettkämpfe anschaue, dann zuerst die meines Erachtens beste Show in einem Lead-Finale ever – »when the croud went ballistic«: Adam Ondra in Paris 2016 erzielt magere 235000 Views.
Auch wenn mancher Stream mehr Klicks hat, so ergibt sich ein klarer Grund, warum es Jerry bedauert seine Zeit an Plastik vertändelt zu haben: Die Leistungen am Fels, gerade Erstbegehungen, sind etwas für die Ewigkeit. Das Plastikklettern, so sehr die dargebotenen Leistungen auch absolut bewundernswert und magisch sind, ist Schall und Rauch. Probier es doch mal aus und frage in einem Jahr eine beliebige Gruppe von Menschen in einer Kletterhalle, wie der Olympiasieger heißt. Oder wer kennt noch Francois Legrand – "Le Big" – den super Superstar der Wettkämpfe in den 90ern? Dagegen taucht Güllichs Name noch immer in Umfragen weit oben auf, wenn es um inspirierende Persönlichkeiten des Klettersports geht.
Dass ein Leben als professioneller Felskletterer nicht automatisch mit einem Leben in Armut einher geht, beweisen auch Beispiele aus Ländern, in denen Klettern wirklich nicht die erste Geige spielt. Matilda Söderlund aus Schweden beispielsweise lebt einen guten Lifestyle als Vollzeit-Athleten mit einigen Sponsoren, die explizit nicht aus der Welt des Bergsports kommen. Sie hat ihre Wettkampf-Karriere schon lange hinter sich gelassen und weint ihr keine Träne nach.
Ich finde schlußendlich, dass Olympia vor allem eines war: Viel Lärm um nichts. Ich hatte Spaß beim Zuschauen und das Popcorn schmeckte auch besonders gut. Aber Hand aufs Herz, Freunde: Abgerechnet wird immer noch am Fels, oder?
✌️❤️
Hannes
Dieser Artikel wurde verfasst für den Klemmkeil aus Niedersachsen. Eine fantastische Lektüre, zu der sogar the man himself – Adam Ondra – contributed hat. Hier kannst Du die aktuelle und alle anderen Ausgaben herunterladen.
Das großartige Cover und die andere Illustration hier wurden von der Designerin Tweet gestaltet, deren Website Du hier findest
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And now in english ...
"He's part of the well respected fraternity."
A look back at the 2021 Olympics.
Right off the bat, two steep theses. Steeper than the ultra-roofs:
1. competition climbing will never, ever, ever get the mass appeal that officials and some athletes want.
2. all those who thought that the Olympics would finally be the end of the world of mountaineering can rest easy and continue to breathe.
I myself have always enjoyed watching climbing competitions. Be it live or on television, where in the early 90s there were actually sometimes hours of live broadcasts on public television. You wouldn't believe it, but back then the whole thing was much more hype than it is today, even though climbing itself was a thousand times more niche than it is today. Just think that at the Nuremberg World Cup anno 1991 you could win a car in the Superfinal! And even at the Germany Cup, three decades ago, the aspirants climbed over a bold Mitsubishi logo in the wall. Somehow this seemed to be linked to the hope of media and sponsors to deliver a next big thing for spectators with the climbing competitions. And that, although there never really was a Steffi or a Boris in climbing in Germany. When you look at today's national competitions, you can't believe that it used to be such a big deal.
From the beginning of the competitions, say in 1985, fierce discussions accompanied this discipline. The demise of true climbing was the least that parts of the scene feared, after all, Wolfgang Güllich's motto "Climbing means being free" not only applied to him, but was credo for many. And at the latest when a functionary tells you when you have to put your hand on the wall, that's the end of freedom, isn't it?
In retrospect, it can be said that hardly any of the fears came true. One of the superstars of that time, Jerry Moffatt, only regrets having wasted his energy and time on competitions instead of investing it in first ascents.
To me, the discussions leading up to the Olympics seemed like a flashback to the 80s.
On the one hand, the hope for more public respect for climbing, on the other hand, the fear that climbing had finally been sold to the devil. After all, Olympia is the maximum expression of capitalism in the world of sports.
Critics have always feared that athletes who want to make a living from their climbing would be forced to participate in competitions because the complete attention of the media and sponsors would be focused on the public comparison on the art wall.
I, on the other hand, believe that this "attention from media and sponsors" will ultimately never be truly earth-shattering, because - let's face it - climbing is, in my son's words, "boring as hell." Anyone who, like my son, is at home in biking and admires non-stop backflips and bar spins at lofty heights can only yawn when an athlete in bouldering runs into the wall twenty times on a run-and-jump problem and smears off like a greased pancake before he or she has even stayed on the wall for two seconds.
Attempts to make competition climbing spectacular are manifold, and for many non-climbers the deep water duel is the most popular, but it is not IFSC certified and probably won't be for the rest of the 21st century.
In order not to hurt anyone, a lot of brain twisting was done to finally unite bouldering, rope climbing and speed in the "Olympic Combined". By the way, this is not a total novelty either, because already in 1990 the "Maurienne Masters" took place in France, which combined bouldering, speed, redpoint and on sight (winner: Jerry Moffatt).
The real brain twister, however, was to develop a scoring system, which would link the individual results in all these disciplines. I've never been an ace at math, but multiplying the individual scores should be manageable, I thought. The challenge is that every single result of a climber changes the result of his competitors. Sounds complicated and it is.
At the moment when Jakob Schubert was in second place in the rope climbing final, Adam Ondra was in the gold position in the overall ranking. To Adam's annoyance, however, Jakob climbed a few moves further and then landed in first place in the rope climb and thus Adam was rid of his gold and pathetically parked in sixth place.
In order to see through this, you need a presenter who has seen through this system a thousand percent and has a total check. Unfortunately, this is what was wrong with the Olympic broadcast worldwide, because now it was the established sports presenters who had their turn and not the brilliant IFSC presenters like Matt Groom. The only consolation is probably that they all didn't have it in them, as friends from the USA or England confirmed to me. In the German program, for example, there was a neat and regular "reach into the lime bag to lime it up." This led to the assumption that it would also be difficult to comment on the results. And it was. However, this was also due to the fact that the transmission of the images was not carried out by professionals with climbing experience, as is the case with the IFSC live streams, but by the usual television personnel.
Highly recommended in this context is this wonderful Youtube clip with Vice Olympic Champion Nathaniel Coleman: Olympic Climber Reacts To CRINGE Commentary. From it comes the title quote, which a TV presenter let loose about Adam Ondra: "He's a part of the well respected fraternity." Um, what do you mean???
The watching climber either turns away in horror or a fit of laughter, the non-climbing viewer might just be baffled.
All in all, I can't observe that climbing is omnipresent in the media because competition climbing has suddenly outed itself as the latest hot shit.
Even a look at Youtube can't confirm that competitions would in any way marginalize "real" climbing:
Chris Sharma and Adam Ondra in La Dura Dura: 9.1 million views
Adam Ondra in Silence: 4.6 million views
Adam Ondra in World's Hardest Flash: 3 million views (though only online for three months)
Margo Hayes in Biography: 1 million views (although only online for four months)
On the other hand, when I look at some archived competitions, first is what I consider the best show in a lead final ever - "when the croud went ballistic":
Adam Ondra in Paris 2016 scores a meager 235000 views.
Even if some streams have more clicks, a clear reason emerges why Jerry regrets wasting his time on plastic: The achievements on the rock, especially first ascents, are something for the ages. Plastic climbing, as much as the performances presented are absolutely admirable and magical, is smoke and mirrors. Try it out and ask any group of people in a climbing gym a year from now what the Olympic champion's name is. Or who still knows Francois Legrand - "Le Big" - the super superstar of the competitions in the 90s? In contrast, Güllich's name still pops up high in surveys when it comes to inspirational climbing personalities.
That a life as a professional rock climber does not automatically go hand in hand with a life of poverty is also proven by examples from countries where climbing really doesn't play first fiddle. Matilda Söderlund from Sweden, for example, lives a good lifestyle as a full-time athlete with some sponsors who explicitly do not come from the world of mountaineering. She left her competitive career behind a long time ago and doesn't shed a tear.
In the end, I think that Olympia was one thing above all: much ado about nothing. I had fun watching, and the popcorn tasted particularly good. But hand on heart, friends: Settlement is still made on the rock, isn't it?
This article was written for the Klemmkeil from Lower Saxony. A fantastic read, to which even the man himself - Adam Ondra - contributed. Here you can download the current and all other issues.
The great cover and the other illustration here were created by the designer Tweet, whose website you can find here
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